Sandstürme und Trommelwirbel

Laura Benk aus der 11a holte sich diese große Auszeichnung. In der Online-Preisverleihung am 8.12.2022 stand sie der Jury und den anderen sieben Schulen, deren Schüler*innen einen der begehrten Preise für ihre Berichte, Fotos oder Videos gewonnen hatten, Rede und Antwort. Eine unglaubliche Leistung. Und eine Geschichte, die es sich zu lesen lohnt. Hier ist sie:

 

Die Sandzählerin

Eine Kurzgeschichte von Laura Benk (11a)

Ich hatte das Fliegen schon als Kind gelernt. Mein Vater hatte immer gesagt, dass ich ein Naturtalent war. Allerdings handelten meine schlimmsten Albträume immer vom Abstürzen. Ich flog seit meinem zehnten Lebensjahr und fast zwanzig Jahre lang war nie etwas passiert. Doch ausgerechnet über einer der endlosen Wüsten Afrikas versagte mein mir bisher immer treues Flugzeug und ich stürzte ab. In diesem Moment war ich froh, dass ich nicht sonderlich hoch flog. Doch bei all dem, was folgte, hätte ich mir gewünscht, schon früher zu sterben. Als ich merkte dass etwas nicht stimmte, schloss ich die Augen und betete mein letztes Gebet. Bitte, Gott, lass es schnell vorbeigehen.
Das tat er nicht. Stattdessen realisierte ich in diesem Moment, in dem ich zum Sterben bereit war, dass das eigentlich gar nicht nötig war. Ich startete also eine Notlandung, die mir überraschend gut gelang. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, zu schauen, ob etwas kaputt war. Zwar hatte ich ein wenig Werkzeug dabei, aber mechanisch begabt war ich nie gewesen. Dafür hatte ich immer einen Mechaniker dabei, der ausgerechnet heute nicht mitgekommen war. Ich verfliuchte mich selbst für die dumme Idee, heute zu fliegen.
Mit zitternden Händen und Knien stieg ich aus meinem Flugzeug und sah mich um. Sand. Überall nur Sand. Verdammt! Wie sollte ich es je aus dieser gottverdammten Wüste schaffen? Ich ermahnte mich ruhig zu bleiben. War ich nicht gerade noch über eine Oase geflogen? Ja, ich erinnerte mich. Die Palmen, die kleinen, braunen Häuser und das glänzende Wasser.
Wasser. Hoffentlich hatte ich noch genügend Wasser. Ich überlegte, wann ich die Oase überflogen hatte. Es konnte höchstens eine Stunde her sein. Das konnte ich zu Fuß schaffen. Ich musste es nur richtig machen. In meiner kleinen Propellermaschine fand ich eine fast volle Wasserflasche und ein großes Halstuch. Dieses Halstuch schlang ich mir um den Kopf, sodass es meinen Nacken bedeckte, und verdeckte mit dem Rest meinen Mund und meine Nase. Es war jetzt schon fürchterlich heiß und ich hatte keine Lust auf einen Sonnenbrand, wobei ich mir wohl eher einen Sonnenstich holen würde. Zuletzt setzte ich noch meine Fliegerbrille auf, um zu verhindern, dass ich Sand in die Augen bekam. Mit der Flasche in der Hand verabschiedete ich mich von meinem geliebten Flugzeug und machte mich auf in Richtung Norden, wo die Oase lIegen müsste. Ich rechnete damit, dass ich in spätestens drei Stunden da sein würde. Meine Laune war ungewöhnlich gut dafür, dass ich gerade abgestürzt war.
Ich täuschte mich gewaltig und nachdem ich fast fünf Stunden durch die immer gleich aussehende Wüste geirrt war, befand sich meine Laune an einem absoluten Tiefpunkt. Die Sonne brannte erbarmungslos auf mich nieder. Nasser Schweiß rann meinen gesamten Körper hinab. Meine Flasche war schon lange her und meine Kehle war furchtbar trocken. Ich war erschöpft und mein ganzer Körper schmerzte mir. Mir war klar, dass ich es niemals in die Oase schaffen würde.
Bald würde es dunkel werden und ich wusste, dass es in der Nacht kalt werden würde. Sehr kalt. Ich würde es nicht schaffen. Ich würde hier draußen erfrieren. Ich würde sterben. Tränen traten in meine Augen. Ich war nicht einmal dreißig und würde sterben. Das war doch nicht fair. Warum war diese Welt so unfair?
Ich dachte an meinen Vater, der mir gesagt hatte, wie gut ich fliegen konnte und der mich immer unterstützt hatte. Ich dachte an meine Mutter, die mich allseits bedingungslos geliebt hatte, obwohl ich wahrlich nicht der perfekte Sohn war. Und ich dachte an meinen besten Freund, dem ich nie gesagt hatte, wie ich ihn liebte.
"Es tut mir leid, ihr alle", flüsterte ich. Sie verloren einen Sohn und einen Freund, weil ich einfach zu naiv und leichtsinnig gewesen war. Warum war ich auch ohne Mechaniker geflogen?
Ich schloss meine Augen und war bereit, zu sterben.
Doch dann berührte jemand mit weichen Fingern mein Gesicht. Ich schreckte auf und sah das Gesicht einer jungen Frau. Sie war sehr hübsch. Um es genauer auszudrücke: Sie war wunderschön. Ihre Haut war etwas dunkler als meine. Ihre Augen waren groß, dunkel wie Zartbitterschokolade und von langen Wimpern umgeben. Ihr langes Haar war schwarz wie Ebenholz und auf ihren weichen Lippen lag ein strahlendes Lächeln.
"Du bist wach", sagte sie mit einer unfassbar weichen Stimme.
"Wer ... wer bist du?", fragte ich krächzend.
"Man nennt mich die Sandzählerin", sagte das hübsche Mädchen. Sie half mir, mich hinzusetzen und klopfte mir sanft den Staub von den Kleidern. Ich sah, dass sie ein dünnes, weißes Kleid trug, durch die man die Umrisse ihres schönen Körpers erkennen konnte. "Was möchtest du?", fragte sie, als wären wir in einem Restaurant und sie die Kellnerin, die meine Bestellung aufnehmen wollte. Ich dachte an die schönen Restaurants meiner Heimatstadt und glaubte, wieder weinen zu müssen. Diese Restaurants würde ich nie wiedersehen, genauso wie ich nie meine Eltern und meinen besten Freund wiedersehen würde.
Ich würde sterben.
"Wasser", flüsterte ich kaum hörbar. "Ich möchte ... ich brauche Wasser."
Sie lächelte und reichte mir meine Flasche. Ich wollte protestieren, schließlich war diese Flasche leer. Doch dann merkte ich das Gewicht. Ich schraubte den Deckel ab und leerte in wenigen, gierigen Schlücken die Flasche. Das kühle Nass floss beruhigend und erfrischend durch meine staubtrockene Kehle. Als die Flasche leer war, füllte sie sich einfach wieder von allein. Ich konnte meinen Augen nicht trauen und trank noch ein paar große Schlücke.
"Wie hast du das gemacht?", fragte ich erstaunt. Sie setzte sich zu mir in den Sand und sagte mysteriös: "Das ist ein Geheimnis."
"Warum nennt man dich Sandzählerin?"
"Ich wurde dazu verdammt", entgegnete sie und sah mich dabei nicht an. "Es ist meine Strafe, all diese Sandkörner zu zählen." Sie nahm eine Hand Sand und ließ ihn durch ihre zarten Finger rießeln.
"Deine Strafe? Was hast du denn getan?"
Sie schwieg wieder.
"Es muss etwas sehr Schlimmes gewesen sein, nicht wahr?", fragte ich.
Die Sandzählerin nickte und sah mir dann direkt in die Augen. Ich betrachtete sie fasziniert. Sie war so wunderschön. Ich glaubte, dass ich sie liebte. "Du musst nicht sterben. Jedenfalls nicht, wenn du das nicht willst. Ich kann dir helfen, aber ich habe eine Bedingung."
"Und die wäre?", fragte ich zögernd. Mir wurde etwas unbehaglich.
"Komm, wenn du alt bist, wieder hierher. Ich werde auf dich warten. Dann können wir für immer zusammen bleiben. Das willst du doch, oder?"
Ich biss mir auf die Unterlippe. "Und was machen wir dann?", hakte ich nach, obwohl ich die Antwort eigentlich schon zu kennen glaubte.
"Sand zählen", lächelte sie.
Ich dachte eine Weile nach. Ich dachte an die Straßen und Restaurants meiner Heimat, die ich wieder besuchen würde. Ich dachte an meine Eltern und an meinen besten Freund, die ich wieder in die Arme schließen würde.
"Ich verspreche es", sagte ich.
"Gut", erwiderte die Sandzählerin. Sie beugte sich vor und legte ihre Lippen auf meine. Ihre Lippen waren unglaublich weich und sanft, aber irgendwie schmeckte der Kuss seltsam. Nach Sand. Sie löste sich wieder von mir und ich sah sie ungläubig an. Bildete ich mir das alles etwa gerade ein? Das konnte doch nicht wahr sein...
"Wenn du es nämlich nicht tun würdest, muss ich dafür sorgen, dass du stirbst. Dass dir das Fleisch von den Knochen schmilzt und du verdurstet, auch wenn du Unmengen an Wasser trinken würdest."
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Ich wachte schweißgebadet in meinem stickigen, abgedunkelten Hotelzimmer in Kairo auf. Meine Stirn glühte. Ich glaubte, Fieber zu haben. Plötzlich musste ich an einen verrückten Traum denken, den ich gehabt hatte. Ich war mit meinem Flugzeug abgestürzt, fast gestorben und in der Wüste ein Mädchen getroffen, welches von sich behauptete, dass sie Sand zählte. Wie lächerlich Träume doch waren. Schließlich war mein kleines Flugzeug sicher zuhause in England. Ich schmunzelte und legte mich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen.
Doch dann bemerkte ich die feinen Sandkörner in meinem Bett.

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